Wir fahren nach Rudbar, der Heimatstadt von N, einer kleinen Bezirkshauptstadt an der viel befahrenen Durchgangsstrasse von Qazwin nach Rasht. Rudbar erstreckt sich in der Talenge des Sefid-Rud über mehrere Kilometer links und rechts entlang des Flusses und die steilen Hänge hinauf. Auf der linken, östlichen Hangseite liegen einzelne kleine Dörfer wie Filideh, Kabete und Darestan, auf der westlichen Höhe die Nester Kilister und Aghusben. Rudbar bedeutet so viel wie „viele Flüsse“ – in einer regenreichen Woche bei unserem Aufenthalt in 2010 fanden wir auch heraus, woher dieser Name stammt: Nicht nur lag Rudbar früher ohne den Damm am Ende des Einzugsgebietes des Sefid-Rud und des Shahrud, sondern im Frühjahr gurgeln Dutzende von kleineren und grösseren Bächen die Hänge hinab ins Tal und ergiessen sich in den bei Hochwasser wild schäumenden Sefid-Rud. Der Bezirk Rudbar ist berühmt für seine Oliven und entlang den Durchgangsstrassen reihen sich von Manjil bis Rostamabad Verkaufsstände und Läden, wo die Oliven in grossen Gläsern zu hohen Türmen aufgeschichtet auf ihre Käufer warten. Am Abend sind die Läden alle mit farbigen Neonleuchten in rosa, grün und gelb erhellt und von weitem wirkt so die Hauptstrasse wie eine einzige, grosse Vergnügungsmeile. Ausser der speziellen Lage im Sefid-Rud-Durchbruch durch den Alborz und die sich dem Fluss und die Hänge entlang ziehenden Olivengärten unterscheidet sich Rudbar äusserlich kaum von vielen Iranischen Provinzstädtchen. Die meist zweistöckigen Häuser bestehen aus in Stahlkonstruktionen eingebetteten Ziegeln, sind häufig unverputzt und sehen aus wie zwei übereinander gestellte Schuhschachteln, von denen die obere etwas über die Front der unteren heraussteht und diese so beschattet. Diese neue Bauweise hat ihren Grund nicht rein im Wunsch ihrer Bewohner, die traditionellen, häufig aus Lehmziegeln bestehenden Häuser haltbarer zu machen oder sie aufgrund eines speziellen Hangs zur Moderne ersetzen zu wollen. Vielmehr führten in vielen Regionen Erdbeben, andere Umweltkatastrophen oder Krieg dazu, dass ganze Landstriche verwüstet und viele Dörfer neu aufgebaut werden mussten. So steht es auch mit der Region Rudbar: In der Nacht vom 20. Zum 21. Juni 1990 wurden die iranischen Provinzen Zanjan und Gilan von heftigen Erdstössen der Stärke 7,7 laut Richterskala erschüttert. Das Epizentrum lag nahe der Ortschaften Rudbar, Manjil und Lowshan – diese wurden wie annähernd siebenhundert andere Dörfer praktisch vollständig zerstört. Zwischen vierzig- und fünfzigtausend Menschen verloren ihr Leben und eine halbe Million ihr Dach über dem Kopf. Auch die Familie von N war betroffen und erlor neben verschiedenen Familienmitgliedern auch das Elternhaus in Elizeh, das nie wieder aufgebaut wurde und heute als Ruinen im Olivengarten der Familie überwuchert liegt. Zwischen Rostamabad, Rudbar, Manjil, und Ṭaroom liegt das traditionelle Anbaugebiet für Oliven in Iran. In Rudbar alleine wurden bereits Mitte des 19. Jahrhunderts rund hundertfünfzig Tausend Olivenbäume gezählt. Konsumiert wurden die Oliven in Iran damals nicht in grossem Stil – weder als Öl noch als Früchte: Die Oliven wurden zwar überwiegend zu Öl gepresst, dieses war aber so dick und von so schwerer Qualität, dass es hauptsächlich für Seife verwendet wurde. Im 19. Jahrhundert hatten Franzosen, Russen, Armenier und Griechen nacheinander versucht, Anbau, Verarbeitung und Vertrieb zu einem lohnenden Geschäft auszubauen. Die Griechen, die „Messers Kousis and Theophilaktos“, erhielten anfangs der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts die exklusive Olivenkonzession für Aufkauf, Pressung und Raffinerie der Olivenernte im gesamten Nordiran für eine Laufzeit von 25 Jahren und bauten 1895 in Rudbar sogar eine Fabrik: Die Kousis-Presse. Sie liessen in England sogenannte „Marseillaisen“, Marseiller Olivenpressen, herstellen, die mühevoll von Europa nach Gilan transportiert wurden. Die Unternehmer hatten vor, Oliven und Olivenöl nach Russland zu exportieren. Dieses Geschäft wurde jedoch durch eine plötzliche Zollerhöhung für die Einfuhr von Oliven und Olivenprodukten nach Russland zunichte gemacht und die Griechen verliessen Rudbar kurz darauf wieder und die einheimischen Bauern kehrten zur Seifenverarbeitung zurück. Erst gegen Mitte des letzten Jahrhunderts fand Olivenöl und Olivenfrüchte Akzeptanz bei der iranischen Bevölkerung und führte zu einer steten Verbesserung der Qualität von Öl und Oliven aus der Region. In den siebziger und achtziger Jahren wurden in verschiedenen anderen Gebieten Irans ebenfalls Oliven rekultiviert, wie beispielsweise in Qazwin, Fars oder Mazanderan, so dass ein fast achthundertjähriges Monopol von der Region um Rudbar in den letzten Jahren zu Ende gegangen ist.
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In den Feiertagen und in den Sommerferien zieht es das halbe Land nach norden an das Kaspische Meer. Insgesamt drei Übergänge durch das Elbusgebirge stehen den an manchen Wochenenden hundertausenden Autos für die Passage zur Verfügung: Die Strecke Qazwin – Rudbar – Rasht, die Passstrasse von Karaj nach Chalus und der Übergang von Teheran nach Amol, wenn die östliche Kaspi-Küste das Ziel ist. Die beliebtesten Orte an der Kaspi-Küste liegen jedoch zwischen Chalus und Bandar Ansali westlich vom Chalus-Pass. Da wir von Karaj her kommen und nach Rudbar wollen, ist unsere Route jene über Qazwin. Es ist wieder einmal ein Feiertag, und unser Neffe, der uns zusammen mit einer Schwester von N und ihrem Mann nach Norden bringen soll, holt uns gegen fünf Uhr Nachmittags ab – genau richtig, um in die Rush-Hour nach Norden zu geraten. Zuerst jedoch müssen wir von Karaj auf die Autobahn nach Qazwin finden: Hier zeigt sich die etwas eigenwillige Art und Weise der Verkehrsführung im Iran besonders deutlich. Eigentlich müssten wir schnurgerade nach Norden, um die Autobahn zu treffen. Dazu gibt es jedoch keine Strasse – diese sind alle von Ost nach West – als Verbindungen von Teheran in die Satellitenstädte – gebaut und sind jeweils in unregelmässigen Abständen untereinander von Süd nach Nord verbunden. Dies leider nicht durchgängig, sondern immer nur in kurzen Abschnitten. Eine weitere Besonderheit treffen wir hier mit ganz besonderen Folgen an: die in Iran so beliebten U-Turns (ich kenne keinen Ausdruck dafür auf Deutsch). Die langen Boulevards in den Ortschaften sind jeweils zweispurig richtungsgetrennt und in der Mitte unterbrochen von einem Saum von Grünflächen. Ein Einbiegen in einen solchen Boulevard ist damit jeweils nur in eine Richtung möglich. Will man in die andere Richtung, so biegt man zuerst in die erlaubte Richtung ein, fährt dann im dümmsten Fall mehrere Kilometer und bekommt an einem sogenannten U-Turn die Möglichkeit, durch einen Durchbruch im Grüngürtel auf die Gegenfahrbahn zu gelangen, um in die gewünschte Richtung zu kommen. Um den einbiegenden Autos die Möglichkeit zu geben, unter reduzierter Gefährdung ihres Lebens in den brausenden Verkehr einzufädeln, befinden sich kurz vor den U-Turns Schwellen, die den herankommenden Verkehr abbremsen sollen. Dies gelingt grundsätzlich auch, aber auch bei langsamerem Verkehr ist in den Stosszeiten das Einfädeln jeweils durchaus eine nervenaufreibene Angelegenheit – vor allem dann, wenn der herannahende Verkehrsstrom vorwiegend aus Lastwagen besteht. Wir bahnen uns also unseren Weg im Zickzack nach Norden: Hundert Meter nach Norden, einbiegen nach Osten (dort wollen wir gar nicht hin), U-Turn nach Westen (dort wollen wir hin), abbiegen für weitere hundert Meter nach Norden, abbiegen nach Osten (wir wollen immer noch nicht dort hin) und weitere U-Tuns. Nach vierzig Minuten haben wir es geschafft und die (gefühlt) rund 2 Kilometer Luftlinie nach Norden überwunden – endlich sind wir auf der Autobahn über Qazwin, Lohshan, Manjil nach Rudbar. Zuerst befinden wir uns auf dem persischen Hochplateau. Hinter Qazwin senkt sich die Strasse dann ziemlich abrupt und führt in weiten Bögen hinunter Richtung Lohshan und durch mehrere Durchbrüche im Elburs schliesslich nach Manjil mit dem gleichnamigen Stausee. Hier befindet sich – wegen dem regelmässig starken Wind, der durch die Durchbrüche von Norden nach Süden bläst – auch der grösste Windpark Irans. Wir halten hier aber nicht an, sondern fahren direkt weiter nach Rudbar, die Heimatstadt von N. Die Iraner sind seit vielen Jahren an eine prekäre wirtschaftliche Lage gewöhnt: Seit der Erstürmung der amerikanischen Botschaft der 444-tägigen Geiselnahme ihres Personals, die zu einem Tiefpunkt in den Beziehungen zu den USA geführt hat und von den USA breite Sanktionen zur Folge hatte, die bis heute in Kraft sind. Seit dem Iran-Irak-Krieg, der auf beiden Seiten über eine Million Menschenleben gekostet hat und 1989 in einem Patt endete. Und seit den Sanktionen rund um das Atomprogramm des Iran, die 2010 bei unserem letzten Besuch einen Höhepunkt erreichten. Nach dem Abschluss des Atomabkommens im Juli 2015 und den damit gelockerten Sanktionen erhoffte man sich hierzulande einen Aufschwung. Dieser blieb jedoch aus: Sowohl die Geldspritze der EU wie auch die Einkünfte aus dem verstärkten Handel versickerten irgendwo in den Taschen korrupter Beamter und Wirtschaftsführer. Die Arbeitslosigkeit blieb unverändert hoch, die Löhne tief und die meisten Familien kommen mit einem einzigen Lohn nicht aus, sondern neben der Haupttätigkeit ist es nötig, verschiedenen Nebenjobs nachzukommen. Im Juli 2018 betrug die Arbeitslosenquote rund 12 Prozent, bei den unter 25jährigen liegt sie derzeit geschätzt bei rund einem Drittel.
Irans Wirtschaft ist in hohem Masse zentralisiert, vom Staat kontrolliert und von der Produktion von Erdöl und Erdgas abhängig. Über vier Fünftel der Staatseinnahmen stammen aus dem Verkauf fossiler Energieträger. Das Land verfügt ausserdem über enorme Mengen verschiedener anderer Bodenschätze (u. a. Kohle, Eisen- und Buntmetallerze) sowie eine diversifizierte Industrie. Dank seiner entwickelten Agrarwirtschaft ist es bezüglich Nahrungsmitteln überwiegend autark. Aufgrund der Sanktionen in der Vergangenheit ist der Handel mit China relativ stark. Iran exportiert Öl nach China und China überschwemmt im Gegenzug den iranischen Markt mit seinen Produkten. Die offizielle Landeswährung ist der iranische Rial. Im täglichen Leben wird jedoch mit Tuman gerechnet, wobei ein Tuman 10 Rial entspricht. Der Tuman wurde zwar bereits 1925 vom Rial abgelöst, wurde im Alltag jedoch nie aufgegeben. Die Regierung hat den Wechselkurs vom Iranischen Rial zum US-Dollar auf 42'000 Rial pro Dollar eingefroren. Das Land versucht, Geschäfte soweit wie möglich nur noch in Landeswährung oder Euro abzuwickeln und hat Devisen rationiert. So können von Unternehmen beim Staat beschränkt US-Dollar bezogen werden. Dazu müssen sie sich aber verpflichten, die Marge ihrer Produkte anschliessend auf 3 Prozent zu beschränken. Ein Cousin von N, der eine chemische Fabrik zur Herstellung von Düngemitteln besitzt, sagt, dass er mit dieser Marge jedoch seine Arbeiter nicht mehr bezahlen könne. So schliessen immer mehr Unternehmen ihre Tore und warten die Entwicklung ab. Was man jedoch nicht laut ausspricht: Das mit der Marge ist wohl nur eine Vorschrift für Unternehmer, die nicht dem Staatsklüngel angehören. Glücklich der, der im Moment über Dollarreserven verfügt. Der „tatsächliche“ Kurs für solche Geschäfte (d.h. der Preis, der bei Transaktionen pro Dollar bezahlt wird) liegt bei 115'000 Rial pro Dollar, was also fast das dreifache des Regierungspreises ist. Dies ist auch der Gegenwert, mit dem wir für unsere Reise rechnen, da dies dem vereinbarten Kurs für unsere familieninterne Geldtransaktion unseres Reisebudgets entspricht. Unterdessen kostet ein Kilo gewöhnliches Fleisch zum Kochen rund 60'000 Tuman, das sind also 600'000 Rial bzw. etwas über 1.20 Dollar (offizieller Kurs) bzw. gut 6 Dollar zum tatsächlichen Gegenwert - Tendenz wöchentlich steigend. Zum Vergleich: ein günstiges Kopftuch Made in Iran kostet um die 20'000 Tuman, mein Manteau (vgl. Shopping-Eintrag im Blog) hat nicht ganz 100'000 Tuman gekostet – allen zur Beruhigung: ich habe diesen am Ende selber bezahlt. Der maximale Betrag, der pro Tag in Bar von der Bank abgehoben werden kann, sind 200'000 Tuman bzw. 2 Millionen Rial, also der Wert von etwas mehr als 3 Kilo Fleisch. Unsere Nichte, die ein abgeschlossenes Sportstudium hat, arbeitet derzeit in einem Lampengeschäft. Dieser Tage hat sie sich in einer Schule für ein volles Lehrpensum vorgestellt: mit einem Anfangslohn von 4 Millionen Rial oder 400'000 Tuman – also gerade mal das Doppelte von dem, was täglich von der Bank abgehoben werden kann oder dem Gegenwert von etwas mehr als 6 Kilo Fleisch! Eine erfahrene Primarlehrerin bringt es auf rund 15 Millionen Rial pro Monat bzw. 1.5 Millionen Tuman. Damit liegen beide weit unter dem Durchschnittseinkommen in Iran entfernt, das gemäss Länderdaten.info bei rund 400 Euro pro Monat liegt. Trotzdem bezeichnet sich die Primarlehrerin als dem Mittelstand zugehörig. Der Iran ist weitgehend von den internationalen Zahlungssystemen abgeschnitten. Als Privatperson nützen einem bei einem Iranaufenthalt daher weder Kredit- noch Bankomatkarte. Das gesamte Reisebudget muss in bar mitgebracht werden und wird vor Ort entweder in der Bank oder offiziellen Wechselstuben umgetauscht. Zwar gibt es einen blühenden Schwarzmarkt für das Geldwechseln auf der Strasse, dieser ist jedoch verboten und wer erwischt wird, wird hart bestraft. Glück hat, wer Bekannte mit einem Euro-Konto im Ausland hat: Hier kann das Reisegeld den Bekannten auf ihr Auslandkonto überwiesen werden und sie versorgen einen im Land selber mit dem entsprechenden Bargeld oder leihen einem die iranische Bankomat-Karte aus... Iran liegt in Vorderasien und erstreckt sich, im Norden vom Kaspischen Meer, im Süden vom Persischen Golf eingefasst, von 25° bis 40° nördlicher Breite sowie von 44° bis 63° östlicher Länge. Etwa viereinhalbmal so groß wie Deutschland, grenzt er an sieben Staaten: im Nordwesten an die Türkei, Aserbaidschan und Armenien, im Nordosten an Turkmenistan, im Osten an Afghanistan und Pakistan. Die mit 1609 km längste gemeinsame Grenze teilt er im Westen mit dem Irak. Ebenfalls Teil seines Territoriums sind mehrere Golfinseln, deren größte Qeshm ist. Den überwiegenden Teil seiner Fläche nimmt das iranische Hochland ein. Auf diesem abflusslosen, im Durchschnitt 1200 m hohen Plateau herrscht ausgeprägtes Kontinentalklima. Es wird in seinem zentralen und östlichen Teil von zwei riesigen Wüsten dominiert: Dasht-e Kavir und Dasht-e Lut sind Salz- und Geröllwüsten und besitzen nur wenige Oasen. An ihrem Nordrand bildet das Elburs-Gebirge, das mit dem Damavand (5671m) die höchste Erhebung des Landes aufweist, eine natürliche Schranke zum Kaspischen Meer. Dessen schmaler Küstensaum ist infolge der Steigungsregen subtropisch-feucht und waldreich-grün. Grün und dank der drei ganzjährig Wasser führenden Flüsse Dez, Karkheh und Karun sehr fruchtbar ist auch die Provinz Khuzestan im Südwesten, durch die Iran Anteil am mesopotamischen Tiefland hat, trocken und weitgehend wüstenhaft hingegen sind die nur punktuell gebirgigen Provinzen Khorasan und Sistan-Belutschistan im Osten. Eine zweite Bergkette, die Irans Topografie großräumig prägt, ist der Zagros. Sie verläuft, in einer Breite von 200 km in mehrere Gebirgszüge gestaffelt und stellenweise bis über 4500 m hoch, vom Ararat-Hochland 1200 km weit diagonal in südöstlicher Richtung bis zum Golf von Oman (vgl. Peter Weiss, Iran, 2017).
Auf dem Land fahren die wenigen Autos, die unterwegs sind, meistens ordentlich in den Spuren, die für sie vorgesehen sind. Auf Bergstrecken kann es vorkommen, dass diese Spur geschnitten wird, um den Weg etwas abzukürzen – wenig, aber immerhin. Auch kann es vorkommen, dass besonders ängstliche und möglicherweise nicht schwindelfreie Fahrer die rechte Spur meiden, wenn sie zu nahe an ungesicherten Abgründen entlangführt und lieber die linke Seite verwenden. Offensichtlich schreckt ein hinter einer Kurve entgegenkommender Lastwagen weniger ab, als die Fahrt am Rande der Schlucht. Die meisten Autofahrer fahren dem Wagen entsprechend, den sie besitzen: Der Peycanfahrer prescht über die holprigsten Strassen bergauf, benutzt alle illegalen Kiesauffahrten auf die Autobahn, wirbelt generell viel Staub auf, meistert Böschungen und Gräben, an denen jedes andere Auto zerbrechen würde, holpert fröhlich über Wiesen zu den schönsten Picknickplätzen oder über die frisch gepflügten Felder in tiefen Furchen durch weiche, dunkle Erde zur Kuh- oder Schafherde, die es zu versorgen gilt. Dabei schaukeln seine Sitze weich gefedert wie ein Schiff auf hohen Wellen und nicht selten werden seine Insassen seekrank. Der Peycan sieht aus wie ein vergessenes Relikt aus den siebziger Jahren: Meistens in beige, einige in zitronengelb, gefährlichem orange oder von weit sichtbarem grün mit beigen Türen. Tatsächlich ist der Peycan ein Nachbau des englischen Hillman Hunter, der seit den sechziger Jahren in Iran hergestellt wurde. Peycan bedeutet Pfeil und es ist ein robustes, starkes Auto, mit dem auch in der Zeit, als es noch nicht überall Teerstrassen gab, die Orte über die Schotterpisten zu erreichen waren. Der Peycan wurde bis 2005 hergestellt, jedoch mit kaum wechselnder Modellreihe, so dass auch die letzten Wagen, die vom Fliessband der Iran Khodro rollten, aussehen wie ihre frühen Brüder Anfang der siebziger Jahre. Leider – zumindest für Nostalgiker – oder zum Glück – aus Umweltüberlegungen – sind die Peycans immer weniger auf Irans Strassen zu sehen. Gemächlicher geht es der Paycan auf einer bergaufführenden Teerstrasse an – auf dem glatten, wenig herausfordernden Untergrund in einer Steigung fühlen sich Fahrer und Wagen offensichtlich nicht wohl. Hier unterscheidet er sich nicht gross von der zweiten Kategorie Autofahrer in Iran: dem Saipa-Fahrer. Der Saipa erinnert ein bisschen an die kleineren, eckigen Limousinen der achtziger Jahre: Kurze, kantige Kühlerhaube, knapper Kofferraum – der jüngere Bruder von Peycan, ein linkischer Jüngling. Fast immer weiss oder hellgrau. Der Name des Modells ist Programm: Pride. Und stolz sind ihre Besitzer häufig über ihr kleines Auto, das mit seinem günstigen Preis auch für den Mittelstand erschwinglich ist und den Luxus der Mobilität bietet. Ihren Stolz drücken sie häufig darin aus, dass sie die Markenbezeichnung „Pride“ oder „Beta“ am Heck abschrauben und stattdessen Kleber und Schilder von anderen Marken anbringen: Ferrari, Mercedes, VW, BMW, Peugeot… Solchermassen ausgerüstet, flitzen sie hangabwärts frech an allen anderen vorbei, nur um kurze Zeit später die steilen Berge hinauf zu schnaufen. Dies ist dieser Autochen Schicksal: Sie werden eines ums andere von Lastwagen und Pickups überholt oder in die rot-goldene Staubwolke eines rechts im Schotter vorbeipreschenden Peycan eingehüllt. Im Saipa spürt man jedes Kilo: Ist die ganze Familie dabei, eingeklemmt zu dritt auf den Vordersitzen, zu viert oder zu fünft auf dem Rücksitz, dann ächzt und stöhnt die Karosserie, knarren die Sitze und rattert der Motor. Dann beugt sich der Fahrer tief über das Lenkrad, den Blick konzentriert geradeaus auf den höchsten Punkt der Strasse gerichtet, der Körper gespannt, die Arme angewinkelt, die Hände zupackend am Steuer, der Rücken gerade und leicht über dem Sitz schwebend wie ein Pferdejockey in der Zielkurve die nächste Serpentine nehmend und in die Gerade vor der Passhöhe einschwenkend. Manchmal schafft er es nicht: Dann stöhnt der Motor auf, lässt ein kurzes Pfeifen hören, ein Zischen und Röcheln und bleibt stehen. So ist das Bild der Passstrassen – und derer gibt es viele in diesem Land der Hochplateaus und Gebirgsketten – geprägt von Familien, die ihr Picknick am Rand der Strasse im Schatten des Autos mit weit geöffneter Kühlerhaube machen. Dann hupen die Peugeot-Fahrer und die Samand-Kapitäne: Diese Autos werden ebenfalls in Iran hergestellt und sind beides Versionen des Peugeot 405 – der eine mit der Aufschrift „Pars“ als einheimisch produzierter Peugeot ausgewiesen und der Samand mit dem Pferdekopf-Symbol als Eigenmarke. Spektakulär, was vom Peugeot Fars zu hören war: Diese Wagen fingen häufig aus unerklärlichen Gründen Feuer und blieben am Rand der Strassen als ausgebrannte Wracks zurück. Eine Behauptung, die wir nicht prüfen konnten, die jedoch sicher auch das Misstrauen vieler Leute in die einheimischen Produkte des neuen Millenniums widerspiegeln. Sicher ist, dass ein Peugeot oder Samand-Fahrer zu den bessergestellten im Land gehört oder häufig in Staatsdiensten steht. Selten trifft man sie in den abgelegenen Winkeln des Landes, eher auf den Überlandstrecken zwischen den grösseren Städten. Dort jedoch umso auffälliger, als ob sie ihren Status mit ihrem Fahrstil unterstreichen müssten: Hupen, drängeln, rechts überholen, Kurven schneiden und aus jeder Kreuzung forsch und selbstbewusst in die Hauptstrasse dringen und immer sicher sein, dass bei einem Problem, einem Kratzer, einer Beule oder einem schlimmeren Unfall mit einem der tiefer in der Rangordnung stehenden Wagen das Recht auf ihrer Seite steht. Über ihnen in der Hierarchie stehen nur die grossen, chromglänzenden und sauber-weissen Importwagen: Toyotas, BMWs, Mercedes und japanische oder koreanische Geländelimousinen und immer mehr Chinesischen Modellen. Diese Wagen sind jedoch meist nur in oder in der Nähe von grossen Städte anzutreffen oder vielleicht noch nahe der grossen Importhäfen: Böse Zungen behaupten, es gäbe eine Korrelation zwischen der Anzahl solcher Autos und der Menge an Schmugglerware, die über die grossen Häfen in die Bazare des Landes gelangen. Diese kosten viel Geld und ihre Besitzer sind reich und einflussreich und deswegen entsprechend hoch in der automobilen Rangordnung einzustufen. Ebenfalls hoch in der Rangordnung stehen die vielen kleinen Peugeot 306, die vor allem die Städte unsicher machen. Diese werden meist von jungen Frauen gefahren. Und diese wiederum sind meist die Töchter der Fahrer der teuren Importautos… Rein äusserlich betrachtet unterscheidet sich das Iranische Verkehrswesen kaum von demjenigen westeuropäischer Städte: ganze Wälder von Verkehrsschildern, Fussgängerstreifen, Ampeln, Kreisel, mehrspurige Boulevards. Die Realität jedoch ist eine andere: Fussgängerstreifen werden ignoriert, die Verkehrsschilder als dekorative Verschönerung der Strassenränder betrachtet. Die Ampeln werden häufig beachtet, häufig aber auch nicht – dies scheint von der jeweiligen Laune der Mehrheit der Fahrer abhängig. Werden sie beachtet, dann stehen die Fahrer ungeduldig, den Fuss am Gaspedal, den Daumen zum Hupen bereit in erster Reihe, immer den Zähler bei der Ampel im Blick, der in roten Ziffern die Sekunden abzählt, die bis zum Wechsel auf grün verbleiben. Immer bedrängt von hinten, geht es darum, die Pole-Position zu bewahren, einen schnellen Start hinzulegen und wie bei einem Autorennen als erster die Strasse in Besitz zu nehmen und am schnellsten über der Kreuzung zu sein. Ein zweispuriger Boulevard wird vierspurig, ein dreispuriger achtspurig befahren, Auto an Auto, Rückspiegel an Rückspiegel quetscht man sich in jede noch so kleine Lücke. Die Kreisel – dreispurig umrundete beachtliche Klippen in der Brandung des Verkehrs - bilden dann das unvermeidliche Nadelöhr: Von vier Seiten strömt der Verkehr auf das Rondell zu und brandet in wütenden Wellen zum Zentrum hin. Wo jedoch Wasser aus verschiedenen Strömungen ungehindert eins wird, ist dies dem Verkehr beileibe nicht beschieden: Und so drängen sich die Autos in buntem, lärmigem Chaos alle gleichzeitig in die Kreuzung mit dem Ergebnis, dass ein unentwirrbares Geknäuel entsteht, das in hoffnungslosem Stillstand aller endet. Persisches Qati-Pati. Kein Vor und kein Zurück scheint möglich, alle dazu verdammt, kleine Ewigkeiten lang auf Besserung zu warten – da hilft alles Schreien, Hupen und Gestikulieren nichts. Und doch: Ein unerschrockener Taxifahrer, ein junger Familienvater, ein eiliger Gemüsehändler findet sich, der die Leitung über das kompliziert, wirre Orchester übernimmt und mit lauten „bia, bia, boro, boro“-Rufen und Winken, ausholenden Gesten und kompetenter Mine Bewegung in die Masse bringt, so dass plötzlich die Ströme wieder fliessen als wäre nichts gewesen. Dies alles unter den Augen eines lässig am Strassenrand stehenden Verkehrspolizisten mit Rey-Ban-Kopie auf der stolzen Nase, die sich über das Geschehen mitleidig kräuselt… Der chaotische Verkehr – insbesondere die Mode, die vorhandenen Spuren doppelt und dreifach zu verwenden – hat jedoch im Stau durchaus seine Vorteile: Alle drängen nach vorne, jeder nützt auch die noch so kleinste Lücke aus, späht nach einem Durchlass und sei er noch so eng und so bewegt sich die gesamte Masse an Fahrzeugen langsam, aber stetig irgendwie vorwärts. Hauptsache, man bleibt in Bewegung: alles besser, als im Stau zu stehen! Als Beigabe im iranischen Verkehrssalat rattern noch hunderte von Motorrädern – teilweise mit ganzen Familien besetzt – kreuz und quer durch die Autoschlangen. Sie sind so zusagen Salz und Pfeffer im lärmenden, stinkenden Chaos. Dieses Mal sind wir – anders als in 2010, als wir mit dem Nissan als Selbstfahrer unterwegs waren – Mitfahrer in der kleinen Sorte Wägelchen. Dabei ist es erstaunlich, wie sich die Perspektive verändert: einerseits ist man als Mitfahrer eines persischen Chauffeurs dem ganzen Wahnsinn der iranischen Strassenverkehrs ausgeliefert. Andererseits jedoch kann man – so man es denn schafft – zurücklehnen und das Chaos einfach geniessen, ohne dass man als Fahrer und Beifahrerin sozusagen als blutige Anfänger im persischen Strassenverkehr in dauerndem Adrenalinstress rallye-gleich als Pilot und Co-Pilot im grossen Preis von Iran mitfahren muss. Nicht immer gelingt jedoch das zurücklehnen gleich gut und ab und zu hält man den Atem an und merkt es erst, wenn der Sauerstoff knapp wird, das Gesicht blau und wenn die Atmung sich nach erfolgreichem Überstehen einer besonders kritischen Kreuzung inmitten von dröhnenden Lastwagen sich wieder normalisiert. Die iranischen Fahrer selber sind in diesem ganzen Chaos komplett ruhig. Lässig lehnen sie im Sitz, hängt die eine Hand am Steuer und die andere locker auf dem Schalthebel. Während sie unermüdlich plaudern, erklären, Touristenführer spielen, drängen sie nach vorne, nützen auch die noch so kleinste Lücke aus, spähen nach einem Durchlass, hupen und werden behupt und lassen sich insgesamt nicht in ihrem Fortkommen von den anderen Automobilisten stören. Fluchen und wild gestikulieren tut (im Normalfall jedenfalls) niemand – eine Eigenart, die übrigens auch dem schweizerischen Verkehr, so diszipliniert er sein mag, durchaus gut anstehen würde. P.S.: die Iraner transportieren übrigens das mögliche und unmögliche mit ihren Vehikeln – ich habe einige Muster davon in nachfolgender Diashow zusammengestellt... Leider ist mir die ganze geballte Ladung Gastfreundschaft der Tage in Kashan nicht wirklich gut bekommen und ich bin krank. Vergnüge mich damit, alle Rezepte der gesamten Verwandtschaft gegen verdorbenen Magen auszuprobieren: Ingwertee mit Kandiszucker, Tee aus Bockshornklee mit Kandiszucker, Reis mit Joghurt (ohne Kandiszucker), Cola (ohne Kandiszucker), Pfefferminztee (mit Kandiszucker). Am Ende tun es meine Histamintabletten, eine Diät aus Kartoffeln und Karotten (ohne Kandiszucker, dafür in Bouillon gekocht) und zwei, drei Immodium...
Nach einer ausgedehnten Siesta starten wir wieder. Unser Fahrer hat sich etwas Besonderes ausgedacht: Besuch eines kleinen Bauernhofes in Aran-va Bidgol. Aran-va Bidgol bedeutet Aran und Bidgol, und der Name sagt es bereits: es handelt sich um zwei einzelne Dörfer, die von der Hauptstrasse nach Kashan getrennt sind und deren Bewohner sich spinnefeind sind. Diese feindschaft geht hunderte Jahre zurück und wird offenbar sorgsam gepflegt – auch wenn uns auf unser Nachfragen hin kein Mensch sagen konnte, worauf diese Feindschaft zurückgeht. Sicher ist nur, dass der eine Ort die gesamte moderne Infrastruktur erhalten habe und der andere nur die Abwasserkanäle. Ob es sich tatsächlich so verhält, konnten wir nicht herausfinden.
Wir fahren an staubigen Feldern und teilweise eingestürzten Lehmziegelmauern vorbei über einen staubigen Feldweg zu einer staubigen Ansammlung von Lehmhütten. Dort werden wir von zwei jungen Männern begrüsst, die gerade dabei sind, ein hübsches, schlank gebautes und elegant wirkendes Pferd zu satteln. Unser Fahrer führt uns in den Hof hinein: wie viele Gebäude in Iran umgibt eine hohe Mauer einen Innenhof und die schachtelartig gebauten Wohngebäude. In unserem Fall ist der Hof unterteilt in verschiedene Pferche und der untere Teil des Wohnhauses dient als Stall. Etwa zwanzig langhaarige Schafe mit Schlappohren begrüssen und mit begeistertem Bäh-bäh und drängen sich am Gatter. Weiter hinten knurrt ein gefährlich-grosser Hofhund und fletscht die Zähne. Wir sind froh, dass er angebunden ist. Der Bauer – ein kleiner alter Mann – begrüsst uns und erzählt uns begeistert von seinen Kühen, nachdem er erfahren hat, dass wir aus der Schweiz kommen: Er habe selber zwei Schweizer! Er führt uns zu ihnen und tatsächlich erinnern die beiden Tiere mit ihrem braunen Fell, der hellen Schnauze und Ohren und den schön geschwungenen Hörnern an unser Braunvieh. In einer anderen Ecke des Hofes rennen einige Hühner durcheinander und stieben wild gackernd auseinander, als unser Fahrer in ihren Stall eindringt, um einige Eier zu holen. In einem grösseren Stall wiehern Pferde. Unser Fahrer und N stecken die Köpfe zusammen und N überbringt mir den Vorschlag: Was ich davon hielte, zu reiten? Hmm, ich wollte schon lange einmal reiten, wegen meiner Höhenangst kommt aber ein richtiges, d.h. ein grosses Pferd nicht in Frage. Vielleicht gibt es ja ein kleines, gutmütiges Pferdchen hier, auf dem ich nicht so hoch sitzen würde und auf dem ich einen ersten Versuch wagen könnte? Ja, klar, kein Problem - „moshgel nist!“ - ist die Antwort, es werde ein „Asp kutschik“, ein kleines Pferd, bereit gemacht. Währenddessen sollten wir auf dem Dach des Stalles einen Tee trinken. Irgendwie hätte ich ja eigentlich misstrauisch werden sollen, denn „mosghel nist“ heisst zwar „kein Problem“, nach meiner Erfahrung beginnen die Probleme aber gerade eben sehr häufig mit diesem Ausdruck. Und tatsächlich: Als wir aus dem Hof treten, steht da nicht etwa ein kleines sanftes Rösschen, sondern der elegante Braune von vorhin: Er tänzelt nervös, schüttelt den Kopf und macht mir bei seiner ganzen Schönheit nicht wirklich den Eindruck eines Anfängerpferdes! N übersetzt meine Befürchtung, was zu heftigem Widerspruch führt – nein, er sei ganz brav. Und dann kommt es schon wieder: „moshgel nist!“. Hmm. Hier ist eine gute Idee vonnöten: wie komme ich am besten wieder aus dieser Situation heraus? Leider fällt mir nicht wirklich etwas ein, und um Zeit zu gewinnen, strecke ich dem Pferd meine Hand hin. Zum gegenseitigen Kennenlernen. Zum Aufbau von Vertrauen. Er schnuppert an meiner Hand und lässt sich – sehr zurückhaltend – streicheln. Hmm. Nochmalige Nachfrage: Ob sie sicher seien, ich sei noch nie auf einem Pferd gesessen, sei eine komplette Anfängerin. Nein, das sei wirklich kein Problem („waran moshgel nist!“) - ich müsse einfach genau das tun, was sie mir sagen, dann könne gar nichts passieren. Hmm, damit wäre zumindest einmal die Haftungsfrage geklärt. So einfach wie es tönt, ist das aber nicht: N muss in Real-Time sicherstellen, dass ich die Instruktionen die auf persisch erfolgen, auch wirklich verstehe. Mir schwant zwar, dass es nicht wirklich eine grandiose Idee ist, aber so gross ist das Pferd nicht und es macht insgesamt zwar einen nervösen, aber durchaus nicht bösartigen Eindruck. Mittlerweile sind weitere Leute dazugekommen und alle muntern mich auf: „Boro!“. Hmm. Na gut. Ich lasse mir genau erklären, was zu tun ist: Rechte Hand an den Sattel, linker Fuss in den Steigbügel, linke Hand auf den Nacken, mit Schwung in den Sattel, rechter Fuss in den rechten Steigbügel und dann einfach oben bleiben („moshgel nist“!). Soweit die Theorie. Tönt ja eigentlich ganz einfach. Ich schlucke einmal leer, lege die Rechte auf den Sattel, trete mit dem linken Fuss in den Steigbügel, lege die Linke auf den Nacken des Pferdes und schwinge mich in den Sattel. Kaum spürt der Braune mein Gewicht, fängt er an zu tänzeln, wirft den Kopf zurück, tritt nach rechts und nach links, und benimmt sich insgesamt so, als würde er mich gerne wieder loswerden. Ich klammere mich verzweifelt an Mähne und Sattel fest – kein Gedanke daran, loszulassen und etwa die Zügel zu nehmen! Das Gerüttle und die Gravitation lassen mich immer weiter nach Links rutschen, ein Absturz scheint unvermeidlich, und so rutsche ich weiter nach unten, lasse schliesslich los und lande mit einem Knall auf meinem Hinterteil auf dem staubigen Boden. Sofort werde ich von allen umringt, man will wissen, ob es mir gut geht. Ich mache kurz Inventar: Kopf in Ordnung, Rücken in Ordnung, Blessuren an beiden Ellbogen, ein schmerzender Hintern (gut gepolstert!) und eine angeschlagene Ehre. Nicht ohne eine gewisse Befriedigung gebe ich zur Antwort: „Moshgel nist!“. P.S.: Nachdem mein aufgeschlagenen Ellbogen verarztet sind, erfahre ich vom Fahrer, dass der schöne Braune ein persisches Dressurreitpferd ist und schon viele Preise im Dressurreiten gewonnen hat. Er habe mich nicht etwa abwerfen wollen, sondern mit seinen Ausfallschritten lediglich eine Vorführung gestartet. Ich weiss dies wirklich zu schätzen und fühle mich schlecht, dass ich mit meinem uneleganten Absteigen dem schönen Pferd die Show gestohlen habe... P.S. 2: Nachher sind wir noch in den Stall und haben die übrigen Pferde besucht. Darunter wäre auch eine sanfte weisse gewesen, die mich – nachdem sie von mir einen Zuckerwürfel erhalten hatte – unter dichten Wimpern hervor verliebt angesehen hat. Vielleicht hätte ich es auch beim Braunen zuerst mit Zucker versuchen sollen. P.S. 3: Für alle, die sich fragen, weshalb mir nicht etwa die sanfte Weisse gegeben worden ist für meinen ersten Versuch: Die Pferde – und insbesondere der erfolgreiche Braune - sind der ganze Besitz und Stolz der Familie. Es wäre in Iran absolut undenkbar, einem Gast nicht das beste und schönste Pferd zur Verfügung zu stellen, ganz ungeachtet wie unvernünftig dies ganz grundsätzlich ist. Nachdem wir den Braunen gesehen hatten, hätten wir uns dies eigentlich denken können. P.S. 4: Und wie ist es dem armen Braunen nach meinem Abenteuer gegangen? Er hat keinen Schaden davongetragen und liess sich nach meinem Absturz auch grad wieder von mir streicheln. Offenbar ist er nicht nachtragend. Und nach unserem Abenteuer hat er uns eine Kostprobe seines Könnens gezeigt – dieses Mal mit einem richtigen Reiter im Sattel. P.S. 5: Nach unserer Rückkehr ins Hotel wollte ich mehr über das persische Dressurreiten und insbesondere den sog. Persischen Pferdetanz herausfinden. Dabei handelt es sich ursprünglich eigentlich um eine Methode, um die Pferde für den Krieg zu trainieren und ihre Wendigkeit und Beweglichkeit zu fördern. Für alle die es interessiert, nachfolgend zwei Links auf Youtube: Nr. 1 erläutert etwas zur Tradition und zeigt Beispiele aus Indien, Nr. 2 ist zwar von etwas schlechter Qualität, aber eine der wenigen Vorführungen einer Frau, die ich gefunden habe... 1. https://www.youtube.com/watch?v=0ljbPmVRyuo 2. https://www.youtube.com/watch?v=iMzHMFVRHzQ Die nächste Station ist ein winziges Dorf in den Bergen von Kashan. Wir besuchen einen „Amou“ (Onkel väterlicherseits) unseres Fahrers, der im hintersten Flecken eines Tales weit oberhalb von Kashan lebt. Hier oben ist es angenehm kühl, nach Sonnenuntergang im Wind sogar so frisch, dass wir froh sind, einen Pullover dabei zu haben. Der Alte begrüsst uns überschwänglich und tattert auf krummen Beinen wacklig und aufgeregt umher, verschiebt hier ein Glas, zupft dort an einer Ecke des staubigen Teppichs und entschuldigt sich in einem fort, dass er nicht mit Gästen gerechnet habe und daher sein Haus etwas in Unordnung sei: „Bebakschid!“. Uns stört dies nicht weiter, der gute Alte lebt hier oben ganz alleine in einer Lehmhütte. Ein Raum bildet Wohn- und Schlafzimmer, der andere Raum ist die Vorratskammer und Küche. Strom gibt es hier oben keinen, der Raum wird durch eine Petrollampe beleuchtet, die nicht nur ein orange-warmes Licht sondern auch ein wohlige Wärme verbreitet. Man bringt uns einen Teppich in den Hof und unser Fahrer und sein Amou kochen uns Tee auf einem Feuer in der hinteren Ecke des Hofes. Die nacht ist – bis auf ein paar bellende Hunde, die nachts zum Schutz vor Füchsen, Schakalen und Wölfen frei herumlaufen – still und der Vollmond taucht das Tal, die umliegenden Bergrücken und den Hof in silbernes Licht. Wir geben uns nach dem aufregenden Tag der Stille hin, die nur unterbrochen wird vom Gemurmel des Alten, der seine Aufregung unterbrochen hat, um drinnen bei offener Türe zu beten. Beim Essen dann – das aus Reis, Brot und „Schami“, d.h. In Tomate gedünsteten Hackfleischplätzchen besteht – erzählt der Alte von seinem Leben hier oben. Es sei manchmal schon etwas einsam, insbesondere im Winter, wenn das Tal von hohem Schnee bedeckt ist und tagelang von der Aussenwelt abgeschnitten. Dennoch will der über 95jährige nicht zu seinen Kindern nach Kashan ziehen, obwohl auch seine Frau bereits dort lebt: Er ist überzeugt davon, dass er in der Stadt schon nach wenigen Tagen sterben würde. Hier oben aber macht der Alte einen überaus munteren Eindruck. Ihm hat es insbesondere unsere junge hübsche Nichte angetan, und bald schon hat er sie eingeladen, doch hier oben zu bleiben und ihm den Haushalt zu führen. Ihre höflich-fröhliche Absage will er in keinem Fall gelten lassen und er zählt alle Vorteile auf, die er doch einer jungen hübschen Frau zu bieten habe: 10 Schafe, 5 Ziegen, mehrere Granatapfelbäume, Aprikosen, ein Haus mit zwei (!) Zimmern, ein ansehnliches Stück Boden. Und – als wäre dies alles nicht schon genug – weist er mit einem zahllosen Grinsen verschmitzt auf seinen Mund und betont, er habe sogar noch insgesamt zwei Zähne. Natürlich bleibt auch hier die Einladung nicht aus, hier zu übernachten. Wir lehnen höflich ab und nachdem die Einladung auch nach dem dritten Ablehnen bestehen bleibt, greife ich zu einer Notlüge, die nicht wirklich eine ist: Mir sei nicht so gut und wir zögen es daher vor, zurück in die Stadt zu fahren. Wir verabschieden uns also von dem munteren alten Kerl und fahren die kurvenreiche Strecke nach Kashan zurück. Hier beziehen wir kurz vor Mitternacht unser Zimmer in einem der traditionellen Hotels – mit Strom, Klimaanlage, Dusche und WC im Zimmer und einem schönen, weichen Bett... Sana Historical Hotel, Kashan
Fünf Uhr morgens ist Tagwacht, es ist noch dunkel und still. Gegen halb sechs kommt unser Fahrer und wir packen den Wagen: Wasser, eine grosse Melone, Fladenbrot. Kurz vor sechs Uhr fahren wir los in die Dämmerung. Wir folgen zuerst der Staubpiste, die zur Caravanasarai Maranjab und zum Daryatcheh-Namak, dem grossen Salzsee führt. Kurz vor Sonnenaufgang verlassen wir die Piste und fahren einen Hügel hinauf. In der Dämmerung steht ein Dromedar bewegungslos, nur ein hoher Schatten vor dem rosa eingefärbten Himmel. Es ist immer noch warm, die Wüste hat sich nicht so stark abgekühlt wie erwartet. Ein Kaninchen kreuzt unseren Weg. Die Wüste hier ist mehrheitlich von Geröll geprägt – wir befinden uns ein einem Jahrtausendealten Einzugsgebiet der erodierten Berge rund um Kashan. Der Sand liegt weiter südöstlich von uns und bildet kleine Ansammlungen und gelbe Flüsse dort, wo der Wind stark genug ist, um ihn bis hierher zu treiben. Zu Zeiten vom Schah wurden entlang dem Rand der Wüste rund um Kashan tausende von Bäumen gepflanzt, um eine Versandung des fruchtbaren Landwirtschaftsgürtels rund um die Oasen von Kashan zu verhindern. Diese trotzen bis heute dem Sand, der von den riesigen Dünen herangeweht wird – gross gewachsen scheinen sie in all den Jahren nicht zu sein, verbogen, schief im Wind und knorrig stehen sie kaum mehr als einen Meter hoch als natürliche Barriere gegen die Fluten aus Staub. Auf dem Hügel hat unsere Fahrer einen Teppich ausgelegt und wir sitzen in der Stille nach Osten gewandt und warten auf den Sonnenaufgang. Links von uns ist in der Ferne die Piste zu erkennen, langsam steigen aus dem Halbdunkel Reihen von Hügeln auf, übereinandergeschobene braungrau-dunstige Kulissen. Auf der Piste weit entfernt zuerst eine Staubwolke, dann ein Oranger Fleck: ein erster Lastwagen auf dem Weg zum Salzsee, um eine Ladung Salz abzuholen. Wir hatten am Vorabend einen der Salzfahrer kennengelernt, ein wortkarger junger Mann, der aus der Dunkelheit beim Hostel aufgetaucht ist und erst bei einem Glas Tee am Gespräch über das Leben in der Wüste und die Touristen teilgenommen hatte. Im Osten färbt sich der Himmel lachsfarben, wir warten darauf, dass die Sonne hinter dem Horizont aufsteigt, der sich endlos und seidig über den Geröllhügeln wölbt. Doch die Sonne steigt nicht zuerst als kleiner, gleissender Fleck, dann als Streifen und schliesslich als Halbkreis auf, sie ist nicht zurückhaltend und betritt nach und nach die Bühne wie ein Komparse in einem billigen Theaterstück: Nein, sie lässt uns warten und tritt plötzlich und dramatisch und kreisrund und blutrot aus dem Dunst hervor, wie eine Diva und die unangefochtene Hauptdarstellerin der Wüste. Wir fahren weiter zu den Sanddünen. Hier besteigen wir barfuss die noch kühlen Sandhügel, die sich über Kilometer hinweg unter dem stetigen Wind aus Südosten wie Wellen im Meer in endloser Langsamkeit türmen, senken, schieben und ewig vorwärts driften, ihre Form verändern, an Höhe gewinnen und schliesslich wieder in Täler zusammenfallen. Wir scheuchen eine Echse auf, die hoch auf ihre Vorderbeine aufgerichtet im Zickzack über den Sand davonflitzt. Auf einer besonders hohen Düne angelangt, erstreckt sich das ockerfarbene Meer aus Sand über viele Kilometer bis zum Horizont. Gelbe zähe Grasbüschel sprenkeln die endlosen Wellen. Dieses Gras, so erklärt uns unser Fahrer, hat wurzeln, die teilweise über hunderte von Metern auf der suche nach Feuchtigkeit durch den Sand reichen. Er gräbt eine Wurzel aus und zeigt uns kleine Verdickungen, die als Wasserspeicher dienen. Das Grundwasser reicht hier teilweise bis an die Oberfläche und wir treffen auf einige kreisrunde Wasserlöcher im Sand. An den meisten Stellen in der Geröllwüste ist das Wasser zwischen zwei und sechs Meter tief zu finden – dort jedoch, wo die Dünen sich teilweise an die hundert Meter erheben, ist das Wasser unerreichbar tief. Nach einem Frühstück aus Brot, heissem Tee und Wassermelone – alles im stetigen Wind nach kurzer Zeit mit einer feinen Sandschicht bedeckt – fahren wir in Nordöstlicher Richtung von den Dünen weg und durch ein kilometerbreites ausgetrocknetes Flussbett. Hier liegen liegen überall Lehmkugeln herum, die kleinsten Faustgross, die grösseren so gross wie Fussbälle. Diese Kugeln werden von der Natur geformt, wenn im Frühling das Wasser von den Bergen strömt und Schotterstücke über den lehmigen Boden rollt. Ist das Wasser versickert und verdunstet, bleiben die Kugeln im Wadi liegen. Im Norden von uns erstreckt sich eine weite Ebene – diese gehört bereits zum Einzugsgebiet des Salzsees und ist äusserst gefährlich, da auch jetzt noch, am Ende des Sommers, unter einer dünnen, ausgetrockneten Schicht Erde feuchter Schlamm als gefährlicher Sumpf lauert. Wir umfahren das Gebiet südlich und wenden uns erst nach Norden, nachdem wir die Piste nach Maranjab wieder erreicht haben. Hier treffen wir auf eine Gruppe von Lastwagen, die hoch gefüllt mit Salz verlassen auf der Piste stehen. Auf einem Sandhügel in der Nähe eine Gruppe Leute, die uns winken: Der Offroader kämpft sich durch den Sand hinauf und erreicht ein kleines Biwak von jungen Männern und einem halb im Sand versunkenen Peugeot. Die Fahrer der Lastwagen erklären, was geschehen ist: Die jungen Leute sind am Vortag aus Teheran hierher gefahren, um die Nacht in der Wüste zu verbringen. Offensichtlich war jedoch die Sanddrift in der Nacht so stark, dass ihr Lager versandet ist. Wo am Nachmittag zuvor offenbar nur eine dünne Schicht Sand den harten Boden bedeckt hat, türmten sich nun fast meterhohe Sandwellen auf und sie hatten keine Chance mehr, das Auto aus dem Sand herauszubringen. Glücklicherweise hatten sie Verstand genug, nicht allzu weit von der Piste entfernt zu biwakieren, so dass sie am Morgen die Lastwagenfahrer auf sich aufmerksam machen konnten. Da die Lastwagen jedoch nicht den Sandhügel hinaufkamen, war gerade entschieden worden, dass die jungen Leute das Auto stehen lassen und mit den Lastwagen zurückfahren sollten. Mit unserer Ankunft jedoch wurden die Pläne geändert und wir sollten versuchen, den Peugeot mit unserem Offroader aus dem Sand zu ziehen. Während die Fahrer sich an die Arbeit machten, ein festes Drahtseil an beiden Wagen befestigten und den Peugeot ausgruben, standen die jungen Herren – einer davon in feinen Lacklederschuhen, man stelle sich dies vor! - untätig und mit dummen Gesichtern herum. Nun tauchten auch noch ein paar Kamele auf, aus der Ferne angelockt durch das menschliche Treiben auf dem Sandhügel. Sie gesellten sich zu den jungen Männern und Mensch und Kamel betrachtete gemeinsam die Bemühungen der Arbeiter, das Auto freizukriegen. Nach einigen Anläufen gelang dies auch und der Wagen konnte zur Piste zurück gezogen werden. Die jungen Männer stiegen ein und brausten ohne Dank ab. Auch wir machten uns wieder auf. Bereits nach wenigen Kilometern erreichen wir den Salzsee. Dieser hat nur im Winter Wasser, ist im Frühjahr morastig und jetzt im Sommer völlig ausgetrocknet. Und wunderschön: über viele Kilometer dehnt er sich gelblich-weiss gemustert mit regelmässigen Hexagonen aus Salzkristallen vor uns aus. Es bläst ein stürmischer Wind aus südöstlicher Richtung – und da dieser frei von Staub ist, ist die Luft klar und die Sicht gut. Auch wenn wir nicht – wie dies nach Beteuerung unseres Fahrers bei besonders klarem Wetter der Fall sein soll – bis zum rund 300 Kilometer entfernten Damawand sehen können. Es wird schon unangenehm heiss auf der weiten Salzfläche und so fahren weiter in Richtung Karawanserai. Dieses Fort wurde 1603 gebaut und diente den Karawanen der Seidenstrasse als Schutz- und Ruhepunkt. Sie war zeitweise mit über 500 Soldaten besetzt, um einerseits die Karawanen vor Banditen zu schützen, andererseits aber auch als Vorposten gegen die immer wieder aus Afghanistan und Usbekistan einfallenden Heere. Anfang des 20. Jahrhunderts verloren die Karawanen und damit die Karawansereien an Bedeutung und auch die Karawanserei Maranjab wurde verlassen, bis in den vierziger- und fünfzigerjahren des 20. Jahrhunders von Banditen in Beschlag genommen wurde. Diese führten von hier aus über mehrere Jahre ihre Raubzüge in die Dörfer der Umgebung durch, bis Schah Reza Pahlewi die Karawanserei ausbomben liess. Zur Jahrtausendwende wurde sie schliesslich wieder aufgebaut und dient seither den Wüstentouristen als einfache aber sichere Unterkunft. Von hier aus fahren wir weiter nach Osten, wo uns der Fahrer zum Abschluss noch etwas Besonderes zeigen will: eine Kameltränke. Diese besteht aus zwei je rund fünf Meter langen Steintrögen und einem Qanat-Ausgang als Brunnen. Hier schöpfen wir mit einem Lederkessel aus rund drei Metern Tiefe Eimerweise Wasser in die Tränke. Wir schauen uns um: Kamele sind keine in der Nähe, nur weit weg am Horizont schaukeln ein paar über den Staub. Unverdrossen schöpfen wir weiter Wasser, ein Loch im Eimer, aus dem ein kühler Strahl schiesst, und uns regelrecht abduscht, sorgt für Gelächter und Ablenkung. Und da sind sie schon, die ersten, wie aus dem Nichts aufgetaucht: zwei Dromedare nähern sich und recken ihre langen Hälse in den Wassertrog. Sie trinken ausgiebig, strecken ihren Kopf die Höhe und schütteln ihn ausgiebig, so dass ihre weichen Schlabberlippen fliegen. Neugierig betrachten sie uns unter langen Wimpern hervor, blinzeln kurz und wenden sich dann wieder dem Wasser zu. Immer mehr der Tiere kommen mit wiegendem Schritt heran und schon bald drängen sich sechs, acht, zehn Kamele am Trog und immer noch kommen neue an und drücken und schieben sich zwischen die anderen, um ihrerseits an das Wasser zu kommen. Dieses wird weniger und weniger und es ist erneutes Schöpfen nötig, um den Durst der Tiere zu stillen. Doch auch der Qanat ist plötzlich leer – ein Zustand, der offenbar ungewöhnlich ist und näherer Untersuchung bedarf. So steigt unser Fahrer durch das enge Loch hinunter und untersucht den Ausgang des Qanats. Schon bald fördert er einigen Abfall und eine grosse PET-Flasche zu Tage, die den Zufluss verstopft hat. Während abwechslungsweise geschöpft wird, lernen wir mehr über die durstigen Viecher. Ein Kamel kostet hierzulande rund 20 Millionen Tuman, was rund 2000 Dollar entspricht. Auf den Karawanen führte man immer mindestens eine Kamelstute mit, welche die reichhaltige Milch lieferte, die für die Reisenden die Hauptnahrung bildete. Und die Tiere riechen oder spüren Wasser bereits von weit her. Auch sind sie ihrer Geburtsstätte stark verbunden und es treibt sie immer wieder dorthin zurück. Unterdessen ist die Sonne schon hoch und es wird immer heisser. Nach einem kurzen Abstecher zum Fuss einer besonders hohen Sanddüne (wir verzichten darauf, die rund hundert Meter zu erklimmen), fahren wir wieder zurück zum Camp, um dort am Teich im Schatten Schutz vor der Mittagshitze zu finden. Hier einige Bilder (zum Navigieren anklicken): 24.8.2018: Nach einem Besuch der Fin-Gärten wollten wir mit der ganzen Truppe die Unterirdische Stadt Nuschabad besuchen. Dort grub die lokale Bevölkerung vor 1500 Jahren eine unterirdische Stadt aus dem Boden, die in Kriegszeiten als Zufluchtsort vor Feinden diente, aber auch bei extremen Temperaturen Schutz bot. Das gigantische Labyrinth aus Gängen und Räumen bedeckt eine Fläche von 4 km2 und reicht in drei Etagen bis zu 20 m in die Tiefe. Die Stadt war lange Zeit verschüttet und unentdeckt, bis ein Mann bei Bauarbeiten für eine Sickergrube in die Hohlräume hinunterstiess. Der Besuch ist jedoch für alle mit einer Grösse von über 1.70 Metern und/oder mit Platzangst nicht wirklich empfehlenswert – was mich leider zwang, die unterirdische Tour durch die engen und niedrigen Gänge vorzeitig abzubrechen und aus der relativen Kühle zurück an die rund 44 Grad heisse Oberfläche zu kehren. N begleitete mich und wir streiften etwas durch die Lehmgassen des Ortes. Hier sprach uns eine alte Frau im Tschador an: Ob wir Ausländer seien, ob es uns hier gefalle und überhaupt hoffe sie, dass wir uns in Iran wohlfühlten. N plauderte eine Weile mit ihr und stand ihr Rede und Antwort (Habt ihr Kinder? Warum nicht? Wo lebt ihr? Wo ist die Schweiz? Gibt es dort Regen?). Als sie danach fragte, ob ich auch arbeite, schwante mir Böses und ich gestikulierte hinter dem Rücken der alten Frau verzweifelt-verneinend Richtung N herum. Leider ohne Erfolg: N macht sich wieder einmal einen Spass daraus, herauszuposaunen, ich sei Doktor. Was er nie erwähnt, ist, dass ich nur einen Doktor in Wirtschaft habe, nicht aber ein richtiger Doktor bin. Prompt wendet sich die alte Frau mir zu, lüftet Tschador und Rock und hält mir ihr geschwollenes, dunkelrotes Bein vor die Nase: „Diabete“ meint sie. Ich schaue mir das Bein an und gebe ernst zurück: „Baleh, baleh – Ensulin darid?“ - ja, tatsächlich, und ob sie Insulin hätte. Dies bestätigt sie und erklärt mir stolz, sie nähme jeden Tag drei „Ampoule“ (Spritzen) und sie auch eine „paris“, eine Diät mache. Mit meinem erneuten „baleh, baleh“ gibt sie sich zufrieden: immerhin hat die ausländische Ärztin die Diagnose und die Behandlung bestätigt. Und ich warte darauf, dass der Blitz der Medizin-Götter auf mich herunterfährt und mich für meinen Frevel bestraft. Zu meiner Entschuldigung sei jedoch gesagt, dass wir auch schon versucht haben, den Irrtum aufzuklären. Dies ist jedoch fast gar nicht möglich, da in den Augen vieler einfacher Leute ein Doktor nun eben ein Arzt ist, und damit Basta. Nach diesem erhellenden Besuch sowohl der dunklen Unterwelt als auch der dunklen Seiten von Ns Humor fahren wir alle zusammen in die Berge südlich von Kashan in das Dorf Abyaneh. Dieser am Fuss des 3900 m hohen Karkas-Gebirges gelegene Ort ist ein Juwel überlieferter, ländlicher Architektur und wurde von der UNESCO zum kulturellen Erbe der Menschheit erklärt. Seine aus rostbraunem Lehm errichteten Häuser drängen sich sehr pittoresk an einen steilen Berghang. Sie sind so eng ineinander verschachtelt, dass viele ihrer flachen Dächer den oberhalb wohnenden Nachbarn zugleich als Hof und Terrasse dienen. Hier ist es verglichen mit Kashan angenehm kühl und wir essen in einem wunderschönen Garten mit verschiedenen Wasserläufen unter rauschenden Bäumen, bevor wir uns an die Erkundung des Dorfes machen. |
Autor"For my part, I travel not to go anywhere, but to go. I travel for travel's sake. The great affair is to move; to feel the needs and hitches of our life more nearly; to come down off this featherbed of civilization…" ArchivKategorien |