Nach einer ausgedehnten Siesta starten wir wieder. Unser Fahrer hat sich etwas Besonderes ausgedacht: Besuch eines kleinen Bauernhofes in Aran-va Bidgol. Aran-va Bidgol bedeutet Aran und Bidgol, und der Name sagt es bereits: es handelt sich um zwei einzelne Dörfer, die von der Hauptstrasse nach Kashan getrennt sind und deren Bewohner sich spinnefeind sind. Diese feindschaft geht hunderte Jahre zurück und wird offenbar sorgsam gepflegt – auch wenn uns auf unser Nachfragen hin kein Mensch sagen konnte, worauf diese Feindschaft zurückgeht. Sicher ist nur, dass der eine Ort die gesamte moderne Infrastruktur erhalten habe und der andere nur die Abwasserkanäle. Ob es sich tatsächlich so verhält, konnten wir nicht herausfinden.
Wir fahren an staubigen Feldern und teilweise eingestürzten Lehmziegelmauern vorbei über einen staubigen Feldweg zu einer staubigen Ansammlung von Lehmhütten. Dort werden wir von zwei jungen Männern begrüsst, die gerade dabei sind, ein hübsches, schlank gebautes und elegant wirkendes Pferd zu satteln. Unser Fahrer führt uns in den Hof hinein: wie viele Gebäude in Iran umgibt eine hohe Mauer einen Innenhof und die schachtelartig gebauten Wohngebäude. In unserem Fall ist der Hof unterteilt in verschiedene Pferche und der untere Teil des Wohnhauses dient als Stall. Etwa zwanzig langhaarige Schafe mit Schlappohren begrüssen und mit begeistertem Bäh-bäh und drängen sich am Gatter. Weiter hinten knurrt ein gefährlich-grosser Hofhund und fletscht die Zähne. Wir sind froh, dass er angebunden ist. Der Bauer – ein kleiner alter Mann – begrüsst uns und erzählt uns begeistert von seinen Kühen, nachdem er erfahren hat, dass wir aus der Schweiz kommen: Er habe selber zwei Schweizer! Er führt uns zu ihnen und tatsächlich erinnern die beiden Tiere mit ihrem braunen Fell, der hellen Schnauze und Ohren und den schön geschwungenen Hörnern an unser Braunvieh. In einer anderen Ecke des Hofes rennen einige Hühner durcheinander und stieben wild gackernd auseinander, als unser Fahrer in ihren Stall eindringt, um einige Eier zu holen. In einem grösseren Stall wiehern Pferde. Unser Fahrer und N stecken die Köpfe zusammen und N überbringt mir den Vorschlag: Was ich davon hielte, zu reiten? Hmm, ich wollte schon lange einmal reiten, wegen meiner Höhenangst kommt aber ein richtiges, d.h. ein grosses Pferd nicht in Frage. Vielleicht gibt es ja ein kleines, gutmütiges Pferdchen hier, auf dem ich nicht so hoch sitzen würde und auf dem ich einen ersten Versuch wagen könnte? Ja, klar, kein Problem - „moshgel nist!“ - ist die Antwort, es werde ein „Asp kutschik“, ein kleines Pferd, bereit gemacht. Währenddessen sollten wir auf dem Dach des Stalles einen Tee trinken. Irgendwie hätte ich ja eigentlich misstrauisch werden sollen, denn „mosghel nist“ heisst zwar „kein Problem“, nach meiner Erfahrung beginnen die Probleme aber gerade eben sehr häufig mit diesem Ausdruck. Und tatsächlich: Als wir aus dem Hof treten, steht da nicht etwa ein kleines sanftes Rösschen, sondern der elegante Braune von vorhin: Er tänzelt nervös, schüttelt den Kopf und macht mir bei seiner ganzen Schönheit nicht wirklich den Eindruck eines Anfängerpferdes! N übersetzt meine Befürchtung, was zu heftigem Widerspruch führt – nein, er sei ganz brav. Und dann kommt es schon wieder: „moshgel nist!“. Hmm. Hier ist eine gute Idee vonnöten: wie komme ich am besten wieder aus dieser Situation heraus? Leider fällt mir nicht wirklich etwas ein, und um Zeit zu gewinnen, strecke ich dem Pferd meine Hand hin. Zum gegenseitigen Kennenlernen. Zum Aufbau von Vertrauen. Er schnuppert an meiner Hand und lässt sich – sehr zurückhaltend – streicheln. Hmm. Nochmalige Nachfrage: Ob sie sicher seien, ich sei noch nie auf einem Pferd gesessen, sei eine komplette Anfängerin. Nein, das sei wirklich kein Problem („waran moshgel nist!“) - ich müsse einfach genau das tun, was sie mir sagen, dann könne gar nichts passieren. Hmm, damit wäre zumindest einmal die Haftungsfrage geklärt. So einfach wie es tönt, ist das aber nicht: N muss in Real-Time sicherstellen, dass ich die Instruktionen die auf persisch erfolgen, auch wirklich verstehe. Mir schwant zwar, dass es nicht wirklich eine grandiose Idee ist, aber so gross ist das Pferd nicht und es macht insgesamt zwar einen nervösen, aber durchaus nicht bösartigen Eindruck. Mittlerweile sind weitere Leute dazugekommen und alle muntern mich auf: „Boro!“. Hmm. Na gut. Ich lasse mir genau erklären, was zu tun ist: Rechte Hand an den Sattel, linker Fuss in den Steigbügel, linke Hand auf den Nacken, mit Schwung in den Sattel, rechter Fuss in den rechten Steigbügel und dann einfach oben bleiben („moshgel nist“!). Soweit die Theorie. Tönt ja eigentlich ganz einfach. Ich schlucke einmal leer, lege die Rechte auf den Sattel, trete mit dem linken Fuss in den Steigbügel, lege die Linke auf den Nacken des Pferdes und schwinge mich in den Sattel. Kaum spürt der Braune mein Gewicht, fängt er an zu tänzeln, wirft den Kopf zurück, tritt nach rechts und nach links, und benimmt sich insgesamt so, als würde er mich gerne wieder loswerden. Ich klammere mich verzweifelt an Mähne und Sattel fest – kein Gedanke daran, loszulassen und etwa die Zügel zu nehmen! Das Gerüttle und die Gravitation lassen mich immer weiter nach Links rutschen, ein Absturz scheint unvermeidlich, und so rutsche ich weiter nach unten, lasse schliesslich los und lande mit einem Knall auf meinem Hinterteil auf dem staubigen Boden. Sofort werde ich von allen umringt, man will wissen, ob es mir gut geht. Ich mache kurz Inventar: Kopf in Ordnung, Rücken in Ordnung, Blessuren an beiden Ellbogen, ein schmerzender Hintern (gut gepolstert!) und eine angeschlagene Ehre. Nicht ohne eine gewisse Befriedigung gebe ich zur Antwort: „Moshgel nist!“. P.S.: Nachdem mein aufgeschlagenen Ellbogen verarztet sind, erfahre ich vom Fahrer, dass der schöne Braune ein persisches Dressurreitpferd ist und schon viele Preise im Dressurreiten gewonnen hat. Er habe mich nicht etwa abwerfen wollen, sondern mit seinen Ausfallschritten lediglich eine Vorführung gestartet. Ich weiss dies wirklich zu schätzen und fühle mich schlecht, dass ich mit meinem uneleganten Absteigen dem schönen Pferd die Show gestohlen habe... P.S. 2: Nachher sind wir noch in den Stall und haben die übrigen Pferde besucht. Darunter wäre auch eine sanfte weisse gewesen, die mich – nachdem sie von mir einen Zuckerwürfel erhalten hatte – unter dichten Wimpern hervor verliebt angesehen hat. Vielleicht hätte ich es auch beim Braunen zuerst mit Zucker versuchen sollen. P.S. 3: Für alle, die sich fragen, weshalb mir nicht etwa die sanfte Weisse gegeben worden ist für meinen ersten Versuch: Die Pferde – und insbesondere der erfolgreiche Braune - sind der ganze Besitz und Stolz der Familie. Es wäre in Iran absolut undenkbar, einem Gast nicht das beste und schönste Pferd zur Verfügung zu stellen, ganz ungeachtet wie unvernünftig dies ganz grundsätzlich ist. Nachdem wir den Braunen gesehen hatten, hätten wir uns dies eigentlich denken können. P.S. 4: Und wie ist es dem armen Braunen nach meinem Abenteuer gegangen? Er hat keinen Schaden davongetragen und liess sich nach meinem Absturz auch grad wieder von mir streicheln. Offenbar ist er nicht nachtragend. Und nach unserem Abenteuer hat er uns eine Kostprobe seines Könnens gezeigt – dieses Mal mit einem richtigen Reiter im Sattel. P.S. 5: Nach unserer Rückkehr ins Hotel wollte ich mehr über das persische Dressurreiten und insbesondere den sog. Persischen Pferdetanz herausfinden. Dabei handelt es sich ursprünglich eigentlich um eine Methode, um die Pferde für den Krieg zu trainieren und ihre Wendigkeit und Beweglichkeit zu fördern. Für alle die es interessiert, nachfolgend zwei Links auf Youtube: Nr. 1 erläutert etwas zur Tradition und zeigt Beispiele aus Indien, Nr. 2 ist zwar von etwas schlechter Qualität, aber eine der wenigen Vorführungen einer Frau, die ich gefunden habe... 1. https://www.youtube.com/watch?v=0ljbPmVRyuo 2. https://www.youtube.com/watch?v=iMzHMFVRHzQ
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Autor"For my part, I travel not to go anywhere, but to go. I travel for travel's sake. The great affair is to move; to feel the needs and hitches of our life more nearly; to come down off this featherbed of civilization…" ArchivKategorien |